Andrzej Poland: E-Mail vom Asphalt

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Dieser Roman und die darin beschriebenen Personen sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Ereignissen oder realen Personen wäre rein zufällig. Lassen Sie sich entführen auf eine Reise, die von Bottrop über die Straßen der Welt führt. Eine Reise, die von Träumen, Sehnsüchten und dem Gefühl der Freiheit auf zwei Rädern erzählt. Willkommen in der Welt von Andrzej Poland.

Die Garage in Bottrop

Die feuchte Luft dringt durch die leicht geöffneten Fenster der alten Garage. Andrzej Poland sitzt auf einem Hocker, die Ellbogen auf die Knie gestützt, seine Hände rußverschmiert. Vor ihm, in der Mitte des Raumes, steht sie: die Harley-Davidson, von der er immer geträumt hat. Eine glänzende, schwarze Maschine, die unter dem flackernden Neonlicht wie ein Raubtier aussieht, das auf die Freiheit wartet.

Andrzej ist 31 Jahre alt, ein großer, schlanker Mann mit zerzaustem Haar und einem Bart, der seine Wangen leicht schattiert. Sein Blick ist fest auf die Harley gerichtet. „Noch ein paar Teile“, murmelt er zu sich selbst. „Nur noch ein paar Teile.“ Er weiß, dass er nie genug Geld haben wird, um diese Maschine in einem Stück zu kaufen, also kauft er sie Stück für Stück. Ein Motor hier, ein Lenker da. Sein Traum ist in Einzelteile zerlegt, aber es ist sein Traum.

Eine E-Mail-Benachrichtigung reißt ihn aus seinen Gedanken. Er greift zu seinem Handy, liest die Nachricht, und ein Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. Es ist Claudia Müller, die Psychologin, die er vor ein paar Wochen in einer Bar kennengelernt hat. Sie hat ihm wieder geschrieben.

„Hey Andrzej,“ beginnt die E-Mail, „hast du schon mal darüber nachgedacht, dass du vielleicht nicht vor etwas davonfährst, sondern auf etwas zu?“

Andrzej grinst. Claudia ist klug, herausfordernd, und sie scheint ihn besser zu verstehen, als er es selbst tut. Er tippt eine schnelle Antwort, bevor er das Handy beiseitelegt. „Komm doch vorbei,“ schreibt er. „Ich bin in der Garage.“

Es dauert keine 20 Minuten, bis Claudia vorfährt. Sie steigt aus ihrem kleinen blauen Fiat, ihre blonden Haare wehen im Wind, und sie trägt eine dunkle Lederjacke, die ihr ein wenig wie eine Bikerin aussehen lässt. „Na, Bastler?“, ruft sie fröhlich, als sie die Garage betritt.

Andrzej lacht und winkt sie herein. „Schau dir das an“, sagt er und zeigt auf die Harley. „Das wird mein Ticket zur Freiheit.“

Claudia lächelt und setzt sich neben ihn auf den Boden. „Freiheit“, wiederholt sie. „Das ist ein großes Wort. Aber wovor flüchtest du, Andrzej Poland?“

Er zuckt die Schultern. „Vor nichts. Oder vielleicht vor allem.“ Ihre Augen treffen sich, und für einen Moment herrscht Stille. Dann schüttelt Claudia den Kopf und sagt: „Ich glaube, du suchst einfach nur etwas, was du nicht benennen kannst. Etwas, das dir Bottrop nicht geben kann.“

Andrzej nickt langsam. „Vielleicht hast du recht. Aber die Harley – sie wird mich dorthin bringen, wo ich es finde.“

Die beiden lachen, und der Abend vergeht wie im Flug. Irgendwann, spät in der Nacht, als sie die Garage abschließen, spürt Andrzej, dass etwas Neues beginnt. Ein Abenteuer, eine Reise, die ihn aus Bottrop herausführen wird – auf den Asphalt der Welt.

Der Regen in Hamburg

Der Regen prasselt gegen die Windschutzscheibe, als Andrzej Poland und Claudia Müller die Stadtgrenzen von Hamburg erreichen. Es war eine spontane Entscheidung gewesen, einfach loszufahren, die Harley hinten im Transporter, den Andrzej von einem Freund geliehen hat. Die E-Mail, die er von Claudia am Morgen erhalten hatte, hatte ihn aufgewühlt: „Lass uns irgendwohin fahren, wo der Regen anders riecht.“

Jetzt sind sie hier, mitten im Hamburger Nieselregen, der wie ein feiner Schleier auf die Straßen fällt. Andrzej steuert den Transporter durch die engen Gassen des Viertels St. Pauli, vorbei an leuchtenden Reklametafeln und düsteren Kneipen.

Claudia sieht zu ihm hinüber. „Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?“, fragt sie leise. Andrzej grinst breit. „Eine gute Idee? Wahrscheinlich nicht. Aber das macht es doch erst spannend.“

Sie parken in einer Seitengasse und steigen aus. Andrzej öffnet die Ladefläche und schiebt die Harley heraus. Der Motor heult auf, als er die Maschine startet. „Setz dich hinten drauf“, ruft er Claudia zu.

Sie zögert einen Moment, dann schwingt sie sich hinter ihn. Der Regen prasselt auf ihre Helme, aber sie lachen beide, als die Harley die Straße hinunterrast. Hamburg verschwimmt zu einem Regenbogen aus Farben und Lichtern, während sie durch die Nacht fahren.

„Warum Hamburg?“, ruft Claudia über den Lärm des Motors hinweg. Andrzej dreht den Kopf leicht zu ihr um. „Weil ich gehört habe, dass der Asphalt hier Geschichten erzählt.“

Claudia lacht. „Dann lass uns zuhören.“

Sie fahren stundenlang, halten an kleinen Bars, in denen der Rauch von Zigaretten in der Luft hängt und die Musik laut und rau ist. Andrzej trinkt Bier mit Fremden, hört sich Geschichten von Seeleuten und verlorenen Seelen an, während Claudia mit einem alten Mann spricht, der behauptet, früher einmal ein berühmter Schriftsteller gewesen zu sein.

Als sie später in der Nacht wieder auf die Straße treten, die Harley unter der Laterne glänzt, sagt Claudia: „Du hast recht, Andrzej Poland. Der Asphalt hat hier wirklich Geschichten.“

Er nickt. „Aber noch keine, die ich suche.“ Claudia schüttelt den Kopf. „Vielleicht findest du sie auch nicht. Aber vielleicht findest du etwas anderes.“

Sie steigen wieder auf die Maschine und fahren weiter, hinaus aus Hamburg, hinein in die Nacht.

Das Leuchten von Berlin

Berlin empfängt Andrzej Poland und Claudia Müller mit einem kaleidoskopischen Leuchten. Die Stadt ist laut, lebendig und voller Kontraste. Andrzej fühlt sich sofort elektrisiert von der Energie, die durch die Straßen fließt. Sie fahren auf die Friedrichstraße zu, die Harley schnurrt unter ihm wie ein Raubtier auf der Jagd.

„Berlin“, murmelt Claudia, „die Stadt, die niemals schläft.“ Andrzej lächelt. „Genau der richtige Ort für uns.“

Sie ziehen durch die Stadt, besuchen die Hackeschen Höfe, streifen durch die Gassen von Kreuzberg, lassen sich treiben. An einer Straßenecke treffen sie auf einen alten Bekannten von Andrzej – einen ehemaligen Rocker namens Benno Krieger, der jetzt ein kleines Café in Neukölln betreibt.

„Benno!“, ruft Andrzej, als er den alten Mann sieht. „Wie geht’s dir, Alter?“

Benno lacht laut, seine weißen Haare leuchten im Neonlicht. „Andrzej Poland! Du bist also doch noch nicht vom Asphalt gefallen.“ Sie umarmen sich herzlich, und Benno lädt sie ein, eine Weile zu bleiben.

Im Café erzählt Benno Geschichten von früher, als er mit seiner Gang die Straßen unsicher machte. „Aber jetzt bin ich hier“, sagt er und schaut auf seine zitternden Hände. „Ein alter Mann mit viel zu vielen Geschichten.“

Claudia hört ihm aufmerksam zu, stellt Fragen, und Andrzej beobachtet sie fasziniert. Er hat das Gefühl, dass Claudia etwas in den Menschen sieht, das er selbst nicht erkennt.

Später, als sie das Café verlassen, sagt Claudia: „Dieser Benno – er hat so viele E-Mails vom Leben bekommen, und er hat sie alle beantwortet.“

Andrzej nickt. „Aber ich habe das Gefühl, ich habe noch nicht mal die richtige E-Mail bekommen.“

Die Weite von Leipzig

Leipzig ist anders. Andrzej Poland spürt es, als sie die Stadt betreten. Es ist weniger hektisch als Berlin, aber die Energie ist da, unter der Oberfläche. Sie sind hierhergekommen, weil Claudia meinte, sie bräuchten eine Pause von all der Hektik.

Sie treffen auf Jakob Neumann, einen Straßenmusiker, der in einem kleinen Park spielt. Sein Saxophon klingt weich und melancholisch, eine Melodie, die durch die Bäume tanzt. Andrzej bleibt stehen und lauscht.

Jakob, ein Mann in den Fünfzigern mit einem wettergegerbten Gesicht, bemerkt ihren Blick. „Ihr seid auch auf der Suche, oder?“ fragt er.

Andrzej nickt. „Nach etwas. Aber ich weiß nicht genau, was.“

Jakob lächelt weise. „Niemand weiß das. Aber es ist die Suche, die zählt.“

Später sitzen sie alle zusammen, teilen Brot und Wein, und Jakob erzählt ihnen Geschichten von verlorenen Lieben und alten Freundschaften. Andrzej fühlt, dass etwas in ihm zu wachsen beginnt, ein Verständnis für das, was er wirklich sucht.

Claudia legt eine Hand auf seinen Arm. „Andrzej Poland“, sagt sie leise, „vielleicht ist es Zeit, dass du deine eigene E-Mail an das Leben schreibst

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